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Der Schmerz der Palästinenser und ihre Verantwortung

14. Mai 2011 · 20 Kommentare · Allgemein, Geschichte, Kommentar, Palästinenser


Von Shlomo Avineri

Die Versuche von Seiten der extremen Rechten in Israel, den arabischen Bürgern des Landes zu verbieten, der Nakba zu gedenken, sind bösartig, töricht und zum Scheitern verurteilt. Allerdings sind auch die Initiativen der extremen Linken, die darauf abzielen, den Nakba-Tag zu einem gemeinsamen Gedenktag aller Bürger Israels zu machen, zum Scheitern verurteilt. Israel ist kein binationaler Staat, und bei aller Liberalität und Humanität, ist es schwer, Sieg und Niederlage auf gleiche Weise zu behandeln. Was von der jüdischen Mehrheit gefordert werden kann, ist, der Trauer der Palästinenser respektvoll zu begegnen.

Das Hindernis, das bislang jedem ernsthaften Versuch in dieser Richtung im Wege gestanden hat, ist die Art und Weise, in der die Nakba im palästinensischen Narrativ dargestellt wird. Liberale Israelis müssen aufrichtig genug sein, sich gerade auch mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Erstens, ist der bloße Begriff „Nakba“, dessen arabische Bedeutung am ehesten „Unglück“ ist – als ob von einer Naturkatastrophe die Rede wäre und nicht vom Ergebnis menschlichen Handelns -, ein Ausweichen vor dem historischen Kontext der Ereignisse. Die „Nakba“ war kein Unglück; sie war das Ergebnis einer militärischen und politischen Niederlage, die von politischen Entscheidungen herrührt, für die es Verantwortliche gab.

Zweitens, hört man – wenngleich innerhalb der arabischen Welt im Allgemeinen und bei den Palästinensern im Besonderen wenig Neigung besteht, sich mit der Shoah zu beschäftigen – mitunter Vergleiche zwischen der Nakba und der Shoah. Dieser Vergleich beruht auf moralischer Abstumpfung: Was den Palästinensern 1947-48 widerfuhr, war das Ergebnis eines Krieges, in dem sie besiegt wurden. Die Shoah war ein systematisch geplanter Massenmord. Die sechs Millionen in der Shoah ermordeten europäischen Juden waren nicht gegen Deutschland in den Krieg gezogen. Die deutschen Juden waren gerade gute deutsche Patrioten, und ein beträchtlicher Teil der osteuropäischen Juden sah in der deutschen Kultur den Gipfel der europäischen Kultur.

Drittens, und dies ist die Hauptsache: Der palästinensische Diskurs setzt sich nicht mit der Tatsache auseinander, dass es arabische politische Entscheidungen waren, die das schlimme Unglück über die palästinensische Öffentlichkeit brachten. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von Artikeln und Büchern auf Arabisch, die sich mit dem Krieg von 1948 beschäftigen, und es gibt lehrreiche Analysen zu den Gründen der militärischen Niederlage. Aber bis heute besteht nicht die Bereitschaft dazu, sich mit der einen schlichten Tatsache auseinanderzusetzen: Die Entscheidung, gegen die Teilungsresolution der UNO in den Krieg zu ziehen, war ein schlimmer politischer und moralischer Fehler der arabischen Welt.

Hätten die Palästinenser und die arabischen Staaten den Teilungsbeschluss akzeptiert, wäre Palästina schon seit 1948 ein unabhängiger Staat, und das Problem der Flüchtlinge hätte nie existiert. Nicht die Gründung des Staates Israel schuf das Flüchtlingsproblem, sondern der Krieg der Araber gegen die Gründung des jüdischen Staates in einem Teil des Landes Israel.

Den Israelis, die nach Versöhnung streben, muss es erlaubt sein, von der arabischen Seite zu fordern, dass sie sich diesen Fragen stellt. So wie es unmöglich ist, die Vertreibung von zwölf Millionen Volksdeutschen aus Osteuropa nach 1945 vom deutschen Überfall auf Polen 1939 abzukoppeln, so unmöglich ist es, von der moralischen Dimension der arabischen Entscheidung, Krieg gegen die Idee der Teilung zu führen, abzusehen: Wenn man in den Krieg zieht und ihn verliert, dann bringt dies Ergebnisse mit sich, selbst wenn man den Sieger nicht von der Verantwortung für seine Taten freisprechen kann.

Wenn wir uns also auf eine Zwei-Staaten-Lösung zubewegen, kann man von der arabischen Seite ein gewisses Maß an Selbstkritik erwarten – etwa in der Art, wie sie S. Yizhars Buch „Hirbet Hizah“ im israelischen Diskurs symbolisiert. Dies würde es den Israelis erheblich erleichtern, Anteil am Schmerz der Palästinenser zu nehmen.

Die Knospen der demokratischen Entwicklung in der arabischen Welt müssen die Hoffnung wecken, dass eines der Ergebnisse dessen, was auf dem Tahrir-Platz vor sich gegangen ist, ein kritischer Diskurs sein wird – der Beginn der Befreiung auch vom Unvermögen, einen kritischen Blick in den Spiegel zu werfen.

Shlomo Avineri ist Emeritus für Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.

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20 Kommentare bisher ↓

  • Zitate! « abseits vom mainstream – heplev

    […] Nicht die Gründung des Staates Israel schuf das Flüchtlingsproblem, sondern der Krieg der Araber gegen die Gründung des jüdischen Staates in einem Teil des Landes Israel. Shlomo Avineri, Blog der israelischen Botschaft in Berlin, 14.05.11 […]

  • Robert Soran-Schwartz

    „Nicht die Gründung des Staates Israel schuf das Flüchtlingsproblem, sondern der Krieg der Araber gegen die Gründung des jüdischen Staates in einem Teil des Landes Israel.“
    Eine recht verlogene, nich aufrecht haltbare Behauptung eines von mir hoch geschätzten älteren Freund, der sich auch schuldig gemacht hat.

    Ihne Balfour und Teilungsbeschluß hätte es weder ein Krieg noch eine Vertreibung gegeben.
    Und uns, Juden, wäre es weder schlechter oder besser gegangen seit 1948.

    • Paul

      Werter Herr Robert Soran – Schwartz,

      wie weit wollen Sie die Zeit noch zurückdrehen?

      „Ohne Balfour und Teilungsbeschluß hätte es weder ein Krieg noch eine Vertreibung gegeben.“

      Soll ich etwa für die Begründung der Rückgabe der Deutschen Ostgebiete schreiben:
      Ohne Hitler und 2. Weltkrieg hätte es weder Vertreibung der Deutschen noch Verlust dieser Gebiete gegeben?

      Und uns Deutschen wäre es weder schlechter oder besser gegangen seit 1945?

      • Robert Soran-Schwartz

        Werter Paul,
        Avineri dreht die Zeit bis 1947-48 zurück.
        Ich tue das gleiche (Balfour könnte man vergessen, auch ohne hätte es eine jüdische Migrationsbewegung nach Palästina gegeben).
        Auf Deutschland kann man meine Aussage bestimmt nicht anwenden, obwohl Ihr Versuch nicht mal schlecte Ergebnisse liefert 🙂
        Im Falle Deutschlands könnte es heissen: ohne WK I und anschliessend Versailles wäre Hitler ein Österreicher geblieben, NSDAP wäre wahrscheinlich nicht an die Macht gelangt und WK II hätte nicht statt gefunden. Daher wären die deutschen Minderheiten/Siedler da geblieben, wo sie sich niedergelassen haben. Und den Deutschen wäre es weder schlechter noch besser gegangen als heute (der Bezug ist auf das persönliche Leben der Deutschen undauf ihre europäische Integration fokussiert, nicht auf Wirtschaftsmacht, Wohlstand).

        Wenn Avineri von „Gründung des jüdischen Staates in einem Teil des LANDES Israel“ spricht, dann entspricht dieser Satz nicht der historischen Wahrheit. Es gibt nicht einmal in der Torah die Bezeichung „Land Israel“ oder „Eretz Israel“. G0tt nennt es eher „Canaan“ oder
        „the land of the Kenites, Kenizzites, Kadmonites, Hittites, Perizzites, Rephaites, Amorites, Canaanites, Girgashites and Jebusites“.
        Auch waren die freien Juden mit Ausnahme von nicht mal einem Jahrhundert getrennt lebend in mindestens zwei sich nicht sehr freundlich gegenüberstehenden Königreiche, wo Israel das nördliche Königsreich bezeichnete.

        Was Avineri macht ist unlautere Manipulation. Und dies ist, was ich u.a. beanstande: er benutzt emotionale mythische/historische Begriffe um künstlich eine neue, deformierte Wirklichkeit zu schaffen und zu begründen.
        Beste Grüße und Shalom!

    • Martin

      Und wenn das osmanische Reich sich nicht am ersten Weltkrieg beteiligt und diesen mit verloren hätte, dann hätte es auch keinen Krieg mit anschließender Vertreibung gegeben.
      Selbst schuld halt.

  • Robert Soran-Schwartz

    Trotzdem, danke an die Botschaft und an Autor für einen ausserordentlich interessanten Beitrag zum Naqba-Tag.

  • Freie Welt » Blog Archive » “Nakba” – eine Erfindung arabischer Propaganda

    […] solche gezielte “Vertreibung” hat es in Wahrheit jedoch nie gegeben (siehé dazu diesen äußerst sachlichen Artikel des liberalen israelischen Publizisten Shlomo Avineri). Was die palästinensisch-arabische […]

  • Pressemitteilungen » Blog Archiv » “Nakba” – eine Erfindung arabischer Propaganda – Autor Richard Herzinger

    […] solche gezielte “Vertreibung” hat es in Wahrheit jedoch nie gegeben (siehe dazu diesen äußerst sachlichen Artikel des liberalen israelischen Publizisten Shlomo Avineri). Was die palästinensisch-arabische Propagandamaschinerie systematisch verschweigt ist vielmehr, […]

    • Robert Soran-Schwartz

      Nicht nur die israelischen „Neuen Historiker“, sondern auch viele Veteranen aus dem Unabhängigkeitskrieg haben sich in den letzten Jahrzehnten laut und klar zu Wort gemeldet und zugegeben, dass es die Vertreibung gab.
      Die einzige offen Frage ist, ob die Vertreibung von der politischen Führung angeordnet wurde oder Ergebnis der Aktionen von militärischen Führern auf dem Schlachtfeld waren, und die politische Führung sie stillschweigend guthieß …

      Übrigens, Israel ist eine der wenigen Staaten, die die Archiven 1947-1949 immer noch unter totalem Verschluß (Geheimhaltung aus Gründen der NATIONALEN SICHERHEIT!) hält. Sogar die ehemaligen Ostblockstaaten sind offener …

      Und was war die Abschiebung von einer Viertel Million Palästinenser aus den besetzten Gebieten nach dem Sechs-Tage-Krieg, wenn nicht Vertreibung?
      Shalom, R

  • Michael

    Sehr interessant, sollte jeder mal lesen

  • Feldheld

    Die, die hassen wollen, werden ihre „Ursachenforschung“ immer an der Stelle aufhören, wo ein Jude steht.

  • Joel

    Zu Recht lobt Richard Herzinger („Nakba“ – eine Erfindung arabischer Propaganda, Freie Welt, 16. Mai 2011) die Sachlichkeit des Avineri-Beitrags.
    Doch kann manchmal auch „Unsachlichkeit“, sprich Leidenschaft, Licht auf manche Begriffe werfen. Man erlaube mir in diesem Zusammenhang Melanie Phillips (Appropriate activity for Genocide Day, Spectator, 15th May 2011) zu zitieren:
    (…) The reason for this concerted onslaught was that today was the anniversary of what Arabs call the ’nakba or ‘catastrophe’, their word for the foundation of the State of Israel when five Arab armies tried to snuff out the nascent state and failed. ‘Nakba day’ is thus a restatement of the goal of eradicating Israel from the face of the earth. Its proper name should therefore be Genocide Day.
    [Der Grund für diesen abgestimmten Angriff war der heutige Jahrestag der „Nakba“ oder „Katastrophe“, des arabischen Worts für die Gründung des Staates Israel, als fünf Armeen erfolglos versucht hatten, den entstehenden Staat zu ersticken. Der Begriff „Nakba-Tag“ bestätigt demnach das Ziel, Israel auszuradieren. Er sollte besser „Tag des Völkermords“ genannt werden.]

    • Robert Soran-Schwartz

      Viele Staaten wurden im Laufe der modernen Geschichte „ausradiert“, und trotzdem überlebten ihre Völker den Krieg ohne dass es einen Volkermord gab.
      Also sollten wir doch differenzierter argumentieren. Es ist historischer Fakt (dokumentiert in den UN und US Archiven), dass 1948, kurz nach 1945, die Großmächte kein Genozid toleriert hätten.

      Hinzu kommt, das nur die Palästinenser, also die indigenen Einwohner, den Tag als „Nakba-Tag“ betrauern, nicht die arabischen Länder, die dem Aggressionskrieg gestartet haben. Juden und Palästinenser waren gleichmäßig Betroffene, die einen feiern den Tag der Gründung des Nationalstaats Israel, die anderen beklagen an dem Tag den Verlust von Teilen ihres Lebensraums.
      Beides ist verständlich, und beides sollte erlaubt sein, soweit sie friedfertig begangen werden
      Shalom

      • Paula

        Anne-Sophie sagt:Interessant! Nach dem zweitem Mal ist das nomarl, dass es wie Gelee auschaut aber am Ende es sollte wirklich flfcssig sein. Haben Sie eine Kernseife genommen? Es funktionniert bei mir immer einwandfrei! Probieren Sie sehr gut zu schfctteln vor der Anwendung vielleicht wird es wieder mal flfcssig werden! lg Anne-Sophie

    • Robert Soran-Schwartz

      Genozid? Nicht ganz …

      In an official cablegram from the Secretary-General of the League of Arab States to the UN Secretary-General on 15 May 1948, the Arab states publicly proclaimed their aim of creating a „United State of Palestine“ in place of the Jewish and Arab, two-state, UN Plan.
      Ich zitiere aus dem Telegramm
      „The Governments of the Arab States hereby confirm at this stage the view that had been repeatedly declared by them on previous occasions, such as the London Conference and before the United Nations mainly, the only fair and just solution to the problem of Palestine is the creation of United State of Palestine based upon the democratic principles which will enable all its inhabitants to enjoy equality before the law, and which would guarantee to all minorities the safeguards provided for in all democratic constitutional States affording at the same time full protection and free access to Holy Places.
      The Arab States emphatically and repeatedly declare that their intervention in Palestine has been prompted solely by the considerations and for the aims set out above and that they are not inspired by any other motive whatsoever. They are, therefore, confident that their action will receive the support of the United Nations as tending to further the aims and ideals of the United Nations as set out in its Charter.“
      Genozid? Na ja …

  • Paul

    Nachtrag zu Robert Soran-Schwartz

    Wenn Sie mit Balfour (1917) und Teilungsplan (1947) argumentieren und Israel die Schuld am Unabhängigkeitskrieg (1948) zuweisen,
    dann könnte ich mit dem Versailer Vertrag (1919) argumentieren und Frankreich die Schuld am 2. Weltkrieg zuweisen.

    Das mache ich aber nicht, weil man so nicht argumentieren kann.

    Übrigens zwischen den arabischen Staaten und Deutschland gibt es eine Gemeinsamkeit:
    Beide haben den Krieg ohne Kriegserklärung begonnen.

    Ihre Argumentation beruht auf einer Verfälschung historischer Tatsachen.

    Aber, egal, der Zweck heiligt bei Ihnen wohzl die Mittel.

    • Robert Soran-Schwartz

      Korrekt(er) ist:
      Versailles (!) hat einen Krieg formell beendet, die Unabhängigkeitserklärung hat die zweite, staatliche Phase eines Krieges, der als Milizenkrieg 1947, noch während des britischen Mandats anfing. mit angezettelt.
      Beide Seiten, sowohl die jüdische als auch die arabische waren sich bewußt und haben sich darauf vorbereitet, dass die Ausrufung der Unabhängigkeit zu einem Staatenkrieg führen wird.

      Deutschland hat den 2. WK mit Hitler’s „Reichstagsrede mit Kriegserklärung an Polen vom 01.09.1939“ eingeläutet.

      Aber egal, der Zweck heiligt wohl die Mittel 🙂

      Ich verzichte darauf, „ad hominem“ zu werden, dass Sie es tun reicht…
      Gruß und Shalom

  • ungeknickterKerl

    Danke für diesen sachlichen Artikel!!
    Dies ist eine weitere gute Hilfe bei allfälligen Diskussionen dieses Thema betreffend.
    Als bekennender Demokrat und Sympathisant Israels hat man bekanntlich keinen leichten Stand in dieser Welt. Umso wertvoller sind unaufgeregte und sachliche Publikationen.
    Hoffentlich kann Israel seine Existenz und Identität lange genug verteidigen, um letztendlich vielleicht doch noch Frieden mit seinen Nachbarn schließen zu können!!
    Respekt muß man diesem kleinen Land allemal zollen!!
    ISRAEL, wehre dich!!

    @Alle: ISRAEL ist eine Demokratie!!
    Wieviele Demokratien gibt sonst noch
    dort in der Nähe?

  • Der Gipfel der Dreistigkeit « Bodos Wort-Presse

    […] ein leider recht dämlicher, pro-israelischer Artikel über die Geschichte der „Nakba“  –> ein wesentlich fundierterer Artikel von der israelischen Botschaft, der mit sehr viel … LikeSei der Erste, dem dieser post […]

  • Nakba – Das Café Buch-Oase und andere Katastrophen « Bündnis gegen Antisemitismus Kassel

    […] Methode entweder Äußerungen von mehr oder weniger bedeutenden Personen oder noch gar nicht verabschiedeter Gesetzentwürfe als beschlossene Regierungspolitik darzulegen, militärische Pläne als allgemeingültige […]

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