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Die Israelisierung des Antisemitismus

21. Februar 2017 · 2 Kommentare · Antisemitismus

Von Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz

Im 21. Jahrhundert ist die im antisemitischen Denken begründete und auf Juden ausgerichtete Kritik an Israel die dominante verbale Form geworden, in der anti-jüdische Ideen artikuliert und verbreitet werden.

Zwischen 2002 und 2012 erhielten die israelische Botschaft in Berlin und der Zentralrat der Juden in Deutschland über 14.000 E-Mails, Briefe, Postkarten und Faxe aus allen Regionen Deutschlands. Da wir dachten, dass uns dieses Material ein Fenster in den modernen deutschen Geist gegenüber Israel liefern könnte, führten wir eine Untersuchung dieser Zuschriften durch und stellten fest, dass die überwiegende Mehrheit mit Kritik an der Politik Israels begann, sich aber sofort zu antisemitischen Angriffen verschlechterte. Wir nennen dieses Phänomen die „Israelisierung des Antisemitismus“.

Kommentare auf der Facebook-Seite der Botschaft

 


Wir fanden ein ähnliches Muster in einer kleineren Studie von über 2.000 E-Mails, die von Bürgern aus acht europäischen Ländern an die israelischen Botschaften in jenen Ländern versandt wurden. Wir glauben, dass die Ergebnisse repräsentativ für vergleichbare Untersuchungen weltweit sind. Wie eine jüngste ADL-Untersuchung ergab, wurden zwischen August 2015 und Juli 2016 auf Twitter 2.6 Millionen antisemitische Mitteilungen gepostet.

Ein weiterer überraschender Schluss unserer Studie war, dass es im Gegensatz zu den populären Annahmen nicht ausschließlich Alt-Nazis, Neonazis und/oder extreme Linke sind, die so denken. Im Gegenteil, die Sprache des heutigen Antisemitismus wird, wie in der Vergangenheit, ebenso durch den gebildeten Mainstream wie durch Randgruppen verankert und verbreitet. Statt körperlichen Angriffen auf Juden sind die heutigen Angriffe – mit einigen Ausnahmen – verbal, ideologisch und unter dem Deckmantel einer Politikkritik des Staates Israel versteckt.

Antisemitische Angriffe haben sich im Laufe der Jahrhunderte auf die Dämonisierung der Juden als das ultimative Übel gegründet. Dieses Konzept wurde wiederholt in den Zuschriften gefunden, die wir studierten. Zum Beispiel sagt der Autor eines Briefes an eine israelische Botschaft: „Die Israelis sind und bleiben, egal, was für eine Show sie machen, die größten Rassisten, Kriegsverbrecher, Mörder, Kindermörder, Verletzer von internationalem Recht, Folterer, Räuber, Diebe, Nazis, Lügner, Terroristen…“. In einer weiteren Zuschrift aus dem Jahr 2008 heißt es: „ … du dreckiger Jude. Du bist für das Elend in der Welt verantwortlich!“

Neben der Dämonisierung delegitimiert eine über zwei Jahrtausende existierende antisemitische Idee die Existenz von Juden und ebnet damit den Weg zur Ausgrenzung und dann zu Vernichtung oder Völkermord. So wie Juden kein Existenzrecht haben, wird behauptet, ein Staat, der so abgrundtief böse und zerstörerisch ist, habe kein Existenzrecht.

In den Köpfen dieser Antisemiten ist Israel der kollektive Jude geworden und sollte zerstört werden.

Die rassistische Delegitimierung stützt sich auf Stereotype von Juden als Ausbeuter, Parasiten und Obdachlose, wie in dieser Zuschrift von 2006, die an den Zentralrat der Juden in Deutschland gesandt wurde: „Nur die Auflösung des israelischen Staates kann der Solidarität der Juden und damit auch ihren aggressiven Tendenzen als vereinigtes Volk, das rücksichtslos seiner angeborenen Aggression und Frustration frönt, entgegenwirken. Die Juden, die sich von Israel entfernen, haben dann die Möglichkeit, sich anderswo niederzulassen. Im alttestamentarischen Zeitalter waren die Juden bereits ein nomadisches Volk, das einmal nach Ägypten auswanderte, ein andermal nach Babylon – letzteres übrigens wegen moralischer Verworfenheit, wonach sie nach Israel zurückkehrten.“

Betrachtet man die Zuschriften als Ganzes, gibt es nur wenige Unterschiede zwischen den verschiedenen Jahren, abgesehen von den Höhepunkten, die wir während Zeiten eines militärischen Konflikts, wie dem Krieg in Gaza 2014, bemerkt haben. Dieses Ereignis löste einen Sturm von anti-israelischen und anti-jüdischen Kommentaren in Europa und den Vereinigten Staaten aus, die bis zum heutigen Tag – zumeist online – verbreitet werden.

Es ist auch interessant festzustellen, dass diese Hetzstürme immer einseitig waren, Israel als einzigen Aggressor definierend. Dieser einseitige Rahmen gilt nicht nur für den militärischen Konflikt Israels mit den Palästinensern und den arabischen Staaten, sondern auch für die Verurteilung Israels im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen, die im Vergleich zu anderen Ländern nahezu ausschließlich für Israel charakteristisch sind.

Wenn Israel, der jüdische Staat, als eindeutig böse und unmoralisch denunziert wird, ist Antisemitismus klar im Spiel. Moderne Antisemiten haben das „jüdische Problem“ in das „Israel-Problem“ verwandelt.

In dieser Welt, in der wir versuchen, Rassismus, Misogynie, Homophobie und mehr zu beseitigen, ist es an der Zeit, den uralten Hass auf Juden einzubeziehen.

(Jerusalem Post, 16.02.17)

Jehuda Reinharz ist Professor für moderne jüdische Geschichte und Direktor des Tauber-Instituts an der Brandeis University in den USA. Er ist Präsident der Jack, Joseph und Morton Mandel Foundation.

Monika Schwarz-Friesel hält den Lehrstuhl für Allgemeine Linguistik an der Technischen Universität Berlin.

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