von Chaim Guri
Die Nachricht vom Tode des Richters Dr. Moshe Landau bereitet mir großen Kummer. Ich habe diesen Mann verehrt, der als Vorsitzender des Gerichts, das über Adolf Eichmann richtete, über Jahrzehnte eine bedeutende Figur im juristischen und geistigen Leben des Staates Israel war. Tag für Tag sah ich ihn im Gerichtssaal, als ich dort als Journalist saß. Durch diese Position ihm gegenüber über viele Stunden und Monate hinweg lernte ich ihn aus der Nähe kennen und schätzen, da er in Momenten von Weinkrämpfen und Ausbrüchen in der Öffentlichkeit Zeugenaussagen zur Vernichtung und Zerstörung gegenüberstand, vor Leuten, die Nächte im Migrash Harussim Schlange gestanden hatten, um eine Eintrittskarte für den Prozess zu erhalten.
Ich erinnere mich, wie der Vorsitzende Richter lange seinen Holzhammer betätigte, um zu versuchen, die aufbrausende Öffentlichkeit zur Ruhe zu bringen, und es gab Momente im Gericht, die zu wiederholen wirklich schwer fällt, z.B. wie der jüdische Arzt erzählte, wie er mit eigenen Augen im Ghetto einen SS-Offizier auf einen jüdischen Jungen einprügeln sah. Er zählte Schlag um Schlag, bis er zur Zahl 80 gelangte.
Als Arzt, so sagte er, habe er nicht geglaubt, dass der Körper eines Jungen 80 Schläge ertragen könne; der Junge lag am Boden hingestreckt, und nach einigen Minuten fing er an sich zu bewegen und rannte fort. Staatsanwalt Dr. Hausner fragte: „Sehen Sie diesen Jungen hier im Saal?“ „Dort ist er“, sagte er und zeigte auf einen einen halben Meter von Eichmanns Glaskasten entfernt Sitzenden. Der Junge war inzwischen Polizeioffizier, Inspektor Miki Goldmann, der mit der Vorbereitung der Anklageunterlagen befasst war. Im Saal brach ein großer Sturm aus und zu Recht, denn die Menschen begriffen die ganze Bedeutung der Geschichte. Der erniedrigte und geschlagene Junge war zum Ankläger geworden, in der Uniform der israelischen Polizei.
Diese starken Momente, die ich aus tausenden Dingen, die ich über den historischen Prozess sagen könnte, auswähle, ereigneten sich gerade am Ende des Prozesses – dem schrecklichen Höhepunkt, da die Richter das Urteil über Adolf Eichmann fällen mussten. In diesem Moment erschien Dr. Landau s. A. mit seiner ganzen Statur. Er erklärte, warum die Richter, obwohl sie Israelis und Söhne des ermordeten Volkes seien, den Fall wie jede andere Gerichtssache behandelten, eine sachliche Verhandlung führten und gemäß ihrem Gewissen und ihren Schlussfolgerungen urteilten.
„Ich eröffne die 121. Sitzung des Gerichts“, sagte der Vorsitzende Richter Dr. Landau am Ende des Prozesses. „Das Gericht verkündet sein Urteil, der Angeklagte möge sich erheben.“ Und dann kam der Moment, in dem Eichmann sich schweigend erhob und wirklich dem Vorsitzenden Richter gegenüberstand. „Nun, da wir zum Ende der langen Beratung gelangt sind, hat dieses Gericht sein Urteil über den Angeklagten zu fällen“, fuhr der Vorsitzende Richter fort.
„Wir sind von der Annahme ausgegangen, dass die Festsetzung der Strafe in diesem Gericht unserer Abwägung unterliegt“, sagte Landau, was bedeutete, dass es kein Gesetz gebe, das dazu zwinge, ihn zum Tode zu verurteilen. Die Richter luden die Verantwortung für diese Entscheidung auf sich. Dies ist ein Beispiel für die Autorität und die Zurückhaltung, mit denen Landau den Prozess führte. Ich erinnere mich noch heute, 50 Jahre danach, an diesen Moment; die Stimme des Vorsitzenden Richters war klar und deutlich, dabei beherrscht, sehr zurückhaltend, ohne einen Hauch von Dramatik, bisweilen stockte sie, als er das Urteil verkündete.
Richter Landau hatte sich bei dem Urteilsspruch mit einer nicht kleinen Gruppe von Geistesgrößen im Land wie Prof. Martin Buber Prof. Shmuel Bergman und der Dichterin Leah Goldberg auseinanderzusetzen, die forderte, Eichmann nicht zum Tode zu verurteilen, da es sich für das jüdische Volk nicht gezieme, ihn zu einem Heiligen zu machen. Landau akzeptierte diese Position nicht und erklärte, warum das Gericht beschloss, die Todesstrafe über Eichmann, den Verantwortlichen für die ‚Endlösung der Judenfrage‘, zu verhängen. „Das Ziel der Verbrechen am jüdischen Volk, derer der Angeklagte für schuldig befunden wurde, war die Auslöschung eines ganzen Volkes. Dadurch unterscheiden sie sich von Verbrechen gegen Privatpersonen. Bei der Bemessung des Strafmaßes muss man aber in erster Linie die Verletzung der Holocaust-Opfer als Privatmenschen berücksichtigen“, was bedeutete, die Bemessung der Strafe müsse auch in Rechnung stellen, was der Beschuldigte den Hunderttausenden von Opfern angetan, was für ein Unglück er ihnen gebracht habe.
Und womöglich ist dies das Stärkste, was sich auch im Schlussplädoyer von Dr. Landau widerspiegelt. Er kehrte zum Leid des Einzelnen zurück und sagte, es sei unermesslich. Hier stockte ihm die Stimme – wie meine Stimme mir stockte -, als er von denen sprach, die litten und bis heute leiden, Millionen, die sich in ständiger Trauer befinden. Und dann kam der Satz, aufgrund dessen er auf ewig in Erinnerung bleiben wird: „Das Schicken eines jeden Zuges mit Tausend Menschen durch den Angeklagten nach Auschwitz oder zu jedem anderen Ort der Vernichtung kommt der direkten Beteiligung des Angeklagten an Tausend vorsätzlichen Mordtaten gleich.“ Ein außergewöhnlicher Satz, als ob Eichmann persönlich jeden einzelnen von ihnen ermordet hätte. Danach kam er zum Ende: „Dieses Gericht kommt zum Schluss und verurteilt Eichmann zum Tode. Dies ist das Strafmaß.“
Der Eichmann-Prozess war ein Prozess, in dem die im Lande geborenen Alteingesessenen erstmals auf das wirkliche Zeugnis von Opfern des Holocausts trafen, von 120 Zeugen. Wir lernten uns selbst sowohl durch diesen Prozess als auch durch das Zusammenreffen mit den Überlebenden kennen. Dieser Prozess veränderte in den Augen einer ganzen Generation von Israelis das Wesen des Holocausts; sie begriffen, was Völkermord bedeutet. An der Spitze des Gremiums, das entschied, stand dieser Mann, der nun gestorben ist, und ich trauere um ihn als israelischer Bürger, der ihn sehr schätzt und hochachtet, und auch als Mensch, der nicht selten sein Gast war. Gesegnet sei sein Angedenken.
Der Schriftsteller Chaim Guri berichtete für die Zeitung Maariv vom Eichmann-Prozess.
(Yedioth Ahronot, 01.05.11)
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