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Ägypten: Zu beschäftigt für Antisemitismus?

1. September 2011 · 1 Kommentar · Ägypten, Allgemein, Antisemitismus, Friedensverhandlungen, Gaza

 

Von James Kirchik

Kairo: „Gebt uns Waffen und wir werden alle Juden töten!“ Das riefen hunderte Menschen vor der israelischen Botschaft in Kairo am vergangenen Freitag. Die Ursache der Proteste war der im Sinai ausgebrochene Flächenbrand in Folge der Terroranschlagsserie bei Eilat am Tag zuvor. Doch eigentlich bedarf es keines besonderen Anlasses um die ägyptischen Massen dazu zu bewegen, ihren Hass gegenüber ihren jüdischen Nachbarn zum Ausdruck zu bringen. Die intensive akademische Debatte im Westen darüber, wo legitime Kritik an Israel endet und Antisemitismus beginnt, findet in Ägypten und der gesamten arabischen Welt keine Resonanz. Eine Umfrage, die im vergangenen Jahr von der Brookings Institution durchgeführt wurde, zeigte beispielsweise, dass nur drei Prozent der Araber Mitleid mit den jüdischen Opfern des Holocaust empfinden. Obwohl viele der Ägypter, die ich in den letzten Wochen interviewt habe, versucht haben, bei ihren Angriffen auf Israel zwischen „Juden“ und „Zionisten“ zu unterscheiden, ging diese subtile Unterscheidung doch zwischen den offenen Aufrufen zum Völkermord und den Hamas-T-Shirts verloren.

Die Flagge weht wieder

Die Ägypter hatten am vergangenen Freitag die Wahl, wem sie ihre Fäuste zeigen wollten. Zusätzlich zu dem Mob, der rief „Das gesamte israelische Blut ist nicht so viel wert wie der Stiefel eines ägyptischen Soldaten!“, versammelten sich auch Menschen zu einer weiteren Demonstration vor der US-Botschaft und verlangten die Freilassung des „blinden Scheichs“ Omar Abdel Rahman, der wegen seiner Beteiligung an dem Bombenanschlag auf das World Trade Center von 1993 in einem Bundesgefängnis einsitzt. Die Demonstranten hier, größtenteils bärtige Männer und verschleierte Frauen, waren eindeutig friedfertiger, sowohl in ihrer Haltung als auch in ihren Forderungen, als die Gruppe vor der israelischen Botschaft, die aus schick gekleideten Jugendlichen und ein paar seltsamen Westeuropäern bestand (kein anti-israelischer Protest in der arabischen Welt kommt ohne den obligatorischen Franzosen, Italiener oder Schweden in Kuffiyah aus). Amerikaner, die sich um die Popularität ihres Landes in den arabischen Straßen sorgen, können beruhigt sein: Israel wird  dort noch viel, viel mehr gehasst.

Es wäre ein Fehler zu glauben, dass die Parolen der Demonstranten nicht dem ägyptischen Mainstream entsprächen. Antisemitismus ist die gemeinsame Sprache der ägyptischen Politik: Es ist der eine Punkt, in dem sich alle großen Strömungen des politischen Spektrums einig sind – von säkularen „Liberalen“ bis zu den Islamisten. Während sie hinter verschlossener Tür die schrecklichsten Dinge übereinander behaupten, beleidigen sie eine Gruppe ohne weiteres auch öffentlich: Juden und Israelis. So erklärte beispielsweise der Vize-Vorsitzende der legendären (und angeblich „liberalen“) Wafd Partei bei einer Konferenz in Brüssel, dass der „Holocaust eine Lüge“ und Anne Franks Tagebuch eine Fälschung sei. „Gaskammern und Häuten bei lebendigem Leibe?“ fragte er rhetorisch: „Fantasievolle Geschichten.“

In einer westlichen Demokratie würde eine solche Bemerkung das Ende einer jeden politischen Karriere bedeuten, wenn nicht gar strafrechtliche Maßnahmen. Doch wie schon die jungen ägyptischen Schriftsteller Amr Bargisi und Samuel Tardos in ihrem für Aufregung sorgenden Artikel „Why are Egypt’s ‚Liberals‘ Anti-Semitic?“ bemerkten: „Antisemitismus bleibt der Leim, der die grundverschiedenen politischen Kräfte zusammenhält“. In seinem neuen Buch: „The Wave: Man, God, and the Ballot Box in the Middle East” schreibt Reuel Marc Gerecht dazu folgendes: „Dinner Parties mit den verschwörungstheoretischen ägyptischen, saudischen und jordanischen säkularen Eliten lassen Noam Chomsky nett, durchdacht und in seiner Analyse unparteiisch erscheinen.“

„Alle Kandidaten versuchen sich gegenseitig in ihrer anti-israelischen Rhetorik zu übertreffen“, erklärte mir ein 23 Jahre alter ägyptischer Christ, der sehr um die Zukunft seines Landes besorgt ist.

Abdel Moneim Aboul Fotouh, ehemaliges Mitglied der Muslimbruderschaft und jetzt Präsidentschaftskandidat, rief das ägyptische Militär dazu auf, den israelischen Botschafter aus dem Land zu werfen, nachdem Israel versehentlich fünf ägyptische Soldaten im Zuge der Feuergefechte, die auf die Terroranschläge folgten, getötet hatte. Ein anderer Präsidentschaftskandidat und ehemaliger Vorsitzender der Arabischen Liga, Amr Moussa, postete daraufhin bei Twitter: „Für immer vorbei sind die Zeiten, in denen Israel unsere Kinder ermorden konnte, und wir nicht reagierten.“

Doch abgesehen von dem Hass der Mehrheit der Ägypter auf Israel ist es sehr unwahrscheinlich, dass das „neue“ Ägypten den Friedensvertrag mit Israel annullieren oder eine grundlegende Veränderung der Beziehung zu Israel vornehmen wird. Das mag paradox erscheinen, besonders angesichts der Tatsache, dass das ägyptische Volk, das nie an politischen Entscheidungen beteiligt war und dessen Hass auf Israel deshalb nie Teil der ägyptischen Außenpolitik wurde, jetzt das Ruder der Regierung übernimmt. Doch die institutionellen Strukturen, die mit der Einhaltung des Vertrags einhergehen – zwei Milliarden Dollar pro Jahr an das ägyptische Militär, Stabilität im Sinai und im Suezkanal und Tourismus – schließen dramatische Veränderungen zumindest vorerst aus.

„Wozu mit dem Vertrag brechen? Sind wir bereit, gegen Israel in den Krieg zu ziehen? Die Antwort ist definitiv nein“, erklärte mir ein berühmter politischer Analyst vergangene Woche in Kairo. (Natürlich konnte ich mich ihm nicht als Autor einer israelischen Zeitung vorstellen – nicht einmal der Haaretz – und kann deshalb keinen Ägypter in diesem Artikel mit Namen zitieren.)

Dieser Analyst erklärte mir, dass die Sicherheit Ägyptens ebenfalls negativ von dem Schmuggel von Waffen und Terroristen aus Gaza durch erstarkende islamistische Gruppierungen auf der Sinai-Halbinsel beeinträchtigt werde. „Wir können uns von Mubarak in gewissen Punkten, wie dem Gas-Abkommen, den Beziehungen mit Saudi-Arabien oder der Korruption unterscheiden, aber bei der Nationalen Sicherheit? Da können wir nicht von Mubaraks Kurs abweichen“.

Das Hass auf Israel werde teilweise aus der „Geschichte der Besatzung, der Geschichte der Aggression“ genährt, sei aber vor allem während der Mubarak-Ära durch Staatsfernsehen und das Bildungssystem gefördert worden, erklärte er weiter. Ein demokratisches Ägypten, in dem die säkularen Elemente mehr Einfluss haben, als die islamistischen, könnte Israel gegenüber weniger feindselig sein, da sowieso „viele, viele falsche Geschichten in unseren Geschichtsbüchern“ geändert werden müssten, erklärte er.

Das war ein bewundernswertes, wenn auch viel zu seltenes, Geständnis eines der schwerwiegendsten Probleme, die die arabische Gesellschaft vergiften, insbesondere in einem Land, in dem die Masse der Menschen glaubt, dass sie Israel 1973 im Yom Kippur Krieg besiegt haben.

Nachdem ich mit einem Querschnitt der Gesellschaft gesprochen habe, glaube ich, dass es naiv ist zu denken, dass Ägypten oder die arabische Welt jemals einen jüdischen Staat in ihrer Mitte akzeptieren wird. Gesten wie die „Arab Peace Initiative“ werden von nicht gewählten Diktaturen gemacht und repräsentieren in keiner Weise den eigentlichen Willen ihrer Völker. Es ist nicht klar, ob überhaupt eine Mehrheit der Palästinenser die Zwei-Staaten-Lösung unterstützt, trotz der offiziellen Verhandlungsposition der korrupten und sklerotisch verhärteten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Die meisten Araber, die sagen, dass sie eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, sagen das nur, da es die Linie der PA ist; würden die Palästinenser eines Tages ihre Anerkennung Israels verkünden, würden diese Araber entsprechend mitziehen. Die Araber sind willens Israel zu tolerieren, doch meine Angst ist, dass das das Höchste ist, was wir erwarten können. Mit diesen Tatsachen im Hinterkopf besteht Ministerpräsident Netanyahu so konsequent nicht nur auf der Anerkennung des Existenzrechts Israels, sondern auch auf das Recht, als jüdischer Staat zu existieren.

All das bedeutet, dass die Versuche der US-Regierung und der linken Israelis, die Einstellung der arabischen Gesellschaften zu ändern, indem man hektisch eine Zwei-Staaten-Lösung arrangiert und somit fälschlicherweise eine Verbindung zwischen der palästinensischen Problematik zu regionalen und globalen Angelegenheiten herstellt, Zeitverschwendung sind. Um das noch einmal klarzustellen: Die Palästinenser verdienen Gerechtigkeit und eine Staat für ihr eigenes Wohlergehen, doch der Impuls, ihnen dabei zu helfen, sollte nicht von dem Wunsch nach Anerkennung durch die arabische Welt getrieben werden. Die Versuche, der „arabischen Straße“ zu gefallen – die vor Wut schäumt über die versehentliche Tötung von fünf ägyptischen Soldaten durch Israel, aber anscheinend nichts an der Ermordung tausender Demonstranten durch Bashar Assad auszusetzen hat – sind so fruchtlos wie gefährlich.

Ägypten hat massive innenpolitische Probleme und man würde davon ausgehen, dass eine brachliegende Wirtschaft, erstarkender Islamismus und zunehmende Gesetzeslosigkeit die meisten Ägypter eher dazu bewegen würde, sich nach innen zu richten anstatt nach außen den Konflikt mit dem „zionistischen Gebilde“ zu suchen. Doch massive soziale und politische Dysfunktionalität sind nichts Neues in der arabischen Welt, sondern der vorherrschende Zustand. Und anstatt die Eliten dazu zu bringen, sich auf die Verbesserung der eigenen Situation zu konzentrieren, macht die Rückständigkeit der arabischen Gesellschaften anti-zionistische und anti-amerikanische Schuldzuweisungen sehr attraktiv. Die Hoffnung für Ägypten ist jetzt das, was diesen Moment in der Geschichte der arabischen Welt einzigartig machen könnte, nämlich, dass die neuentstandene offene politische Kultur Raum schaffen wird für verantwortungsvolle Stimmen, die gegen den Antisemitismus vorgehen. In den 1960er Jahren hat die Stadtverwaltung von Atlanta, Georgia, sich zu der Stadt erklärt, die „too busy to hate“ sei. Die Israelis können jetzt nur hoffen, dass das Gleiche für Ägypten gelten wird.

James Kirchik schreibt für Radio Free Europe/ Radio Liberty und ist freier Autor für The New Republic.

Die auf dem Blog veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.

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Ein Kommentar bisher ↓

  • Hubert Reiner

    LEIDER WAHR!!!!In vielen Gesprächen mit Ägyptern (in Kairo und auf Facebook)habe ich versucht, Israel als legtim und am Frieden in der region engagiert darzustellen. Leider zugehört hat mir keiner. Unter den ägyptischen Jungaktivisten macht sich ein böser Antisemitismus breit, der völlig daneben liegt. Gerade Ägypten hätte die grosse Chance als Mittler zu dienen, nutzt aber diese Möglichkeit nicht. es ist fatal Israel zu bedrohen und den Haß zu schüren. Damit spielen die Ägypter denen in die Hände, die das Gegenteil der Revolution wollen. Ägypten, syrien und allen anderen arabischen Staaten müssen erkenn, dass nur der Dialog mit Israel den Frieden für alle bringt.

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