Botschaft des Staates Israel in Berlin

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The Liberal Case for Israel – Plädoyer eines Linken

30. November 2011 · 5 Kommentare · Allgemein, Bildung, Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Politik, Sicherheit, Wirtschaft, Wissenschaft

 

Eine palästinensische Flagge auf einer Demonstration für die Rechte von Homosexuellen? Ironischerweise ein symbolhaftes Bild der neuen Linken. Und woher kommt diese eigenartige Allianz? Eine ungerecht behandelte Minderheit identifiziert sich mit der liebsten Opfergruppe der linken Akademiker.

Das Nebeneinanderstellen dieser zwei Anliegen könnte fast schon komisch sein, wäre es nicht so abgrundtief tragisch: Das Hamas-Regime, das durch diese Flagge repräsentiert wird, unterdrückt, erniedrigt, verhaftet, drangsaliert und foltert Schwule und Lesben. Stellen Sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn Sie in Gaza eine Regenbogenfahne tragen würden! (Oder stellen Sie es sich lieber nicht vor.)

Natürlich ist das Schwenken der Palästinenserfahne weniger Zeichen der Solidarität mit der Hamas, als vielmehr Symbol der radikalen Linken und ihrer beständigen Beschäftigung mit Israels widerwilliger Besetzung des Landes, das es im Zuge des Kampfes um seine Existenz 1967 während des Sechs-Tage-Krieges eingenommen hat.

Ich will diese Kolumne aber nicht nutzen, um über dieses Thema zu debattieren.

Vielmehr möchte ich als eingetragenes Mitglied der amerikanischen Mitte-Links Strömung – also als einer derer, die sich selbst als democrats, progressives oder liberals bezeichnen – meine ideologischen Weggefährten auf eine viel zu wenig beachtete Realität hinweisen: Israel ist nicht nur die einzige Demokratie in der Region und der stärkste Partner der USA. Der jüdische Staat steht genauso gut – oder sogar besser – für die Werte der Freiheit und des Fortschritts wie jede andere Nation.

Ich möchte damit nicht sagen, Israel wäre perfekt. So wie in den USA hat auch dort eine lautstarke bibeltreue Minderheit überproportional viel Einfluss auf die öffentliche Ordnung. Wie in den USA schüren auch dort rechte Politiker öffentlichen Ärger durch die Dämonisierung bestimmter Minderheiten. Und wie in den USA provozieren auch dort manchmal Terroranschläge auf heimischem Boden überstarke Reaktionen (und natürlich ist in Israel jeder Tag der Tag nach dem 11. September).

Doch auch mit all seinen Schwächen ist Israel ein modernes Beispiel des liberalen Credos, das der „Happy Warrior“ Hubert Humphrey 1977 folgendermaßen formuliert hat:

„Die moralische Prüfung einer jeden Regierung ist, wie sie diejenigen behandelt, die in der Dämmerung des Lebens stehen – die Kinder; diejenigen, die im Halbdunkel des Lebens stehen – die Alten; und diejenigen im Schatten des Lebens – die Kranken und die Bedürftigen.“

Meine letzte Reise nach Israel hat mir auf anschauliche Weise gezeigt, dass dieses Land die Moral-Prüfung von Humphrey mit Bestnote besteht. Lassen Sie mich das anhand einiger Beispiele erläutern:

Amerikas historische Achilles-Ferse steht im gleichen Kontext wie einer der leuchtendsten Momente Israels. Bezeichnenderweise ist Israel das einzige Land in der Geschichte der Welt, das riesige Massen an Männern, Frauen und Kindern aus der Sklaverei in Afrika befreit und in die Freiheit gebracht hat. In einem Zentrum für die Aufnahme von Immigranten in einem Vorort Jerusalems traf ich auf dutzende erst kürzlich eingewanderte Äthiopier, ein winziger Teil der 120.000 äthiopischen Juden, die in den vergangenen Jahrzehnten nach Israel ausgewandert sind, unter anderem auch in den verdeckten Militäroperationen Moses (1984) und Salomon (1991). Hunger und politische Unruhen bedrohten ihr Leben, als Tausende nach Israel ausgeflogen wurden, damit sie dort ein neues Leben beginnen konnten. Und in den vergangenen Jahrzehnten hat Israel viele Millionen Dollar ausgegeben, um sie zu ernähren und unterzubringen, sie zu kleiden, zu bilden und sie auf das moderne Leben vorzubereiten.

Wirtschaftliche Gerechtigkeit

(An meine konservativen Leser: Bitte schließen Sie für die nächsten Sätze Ihre Augen.) Der Staat Israel wurde 1948 als sozialistische Nation gegründet, basierend auf den Prinzipien seiner wohlstandteilenden landwirtschaftlichen Kollektive, den Kibbuzim. Doch nur wenig später katapultierte sich Israel in den Kapitalismus und wurde dank seines außergewöhnlichen Unternehmergeistes ein Global Player in Hightech-Entwicklung und im Bereich der erneuerbaren Energien (der Bestseller „Startup Nation“ erklärt, warum Israel die höchste Dichte von Startups weltweit besitzt, und warum mehr israelische Firmen an der NASDAQ gelistet sind, als aus allen europäischen Ländern zusammen). Als sich die Einkommensungleichheit immer weiter verschärfte, gingen Millionen auf die Straße: Alleine 400.000 demonstrierten in Tel Aviv. Die Proteste waren bemerkenswert, nicht zuletzt, da es weder Gewalt noch Festnahmen gab. Und im Gegensatz zu den Reaktionen amerikanischer Politiker auf die „Occupy Wall Street Proteste“, von bevormundend bis feindselig, reagierte die Mitte-Rechts Regierung sofort mit umfangreichen ökonomischen Reformen, die die Ausgaben für Soziales massiv steigerten, das Verteidigungsbudget kürzten, und man mag es kaum glauben: die Steuern für Kapitalzuwachs, Unternehmen und Personen mit einem Jahreseinkommen von über einer Million Shekel (etwa 200.000 Euro) anhoben.

Kindererziehung und -pflege

Schon in sehr jungen Jahren müssen israelische Kinder Überlebensstrategien entwickeln, die für ihre verwöhnten Cousins aus den USA unverständlich scheinen würden. (Meine Reisegruppe besuchte einen Kindergarten, der in der Reichweite der Hamas-Raketen lag, und in dem ein Brettspiel benutzt wird, um den 5-jährigen beizubringen, wie man die Luftschutzbunker findet.) Das ist vielleicht der Grund dafür, warum die israelische Politik so viel Wert auf die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer jüngsten Bürger legt.

Kinder genießen – wie alle Israelis –umfassenden Zugang zu einer allgemeinen Krankenversicherung, neben der „Obamacare“ eher an Zustände in Charles Dickens Romanen erinnert. Und die Bemühungen der Regierung gehen noch weit darüber hinaus in ihrer Sorge um das leibliche, seelische und geistige Wohl aller Kinder. Ein leuchtendes Beispiel dafür sind die „Jugenddörfer“, die einst für Kriegswaisen gegründet wurden und sich jetzt um gefährdete Jugendliche kümmern. Ich traf mit den Mitarbeitern und Bewohner des „Yemin Orde Youth Village“ zusammen, und war äußerst beeindruckt von ihrer Erziehungsphilosophie, die vor allem das Selbstbewusstsein fördert, kulturelle Vielfalt willkommen heißt und die Jugendlichen mit Berufsqualifikationen und Führungsstärke ausstattet. Dieses Modell – das jetzt weltweit übernommen wird – ist wahrlich ein „Licht unter den Völkern“.

Bürgerrechte

Viel virtuelle Tinte wurde beim Beklagen des israelischen Sicherheitszauns vergossen, doch die Ergebnisse beweisen klar seinen Wert: Zwischen 2000 und 2005 wurden mehr als 1000 israelische Zivilisten bei Terroranschlägen getötet, mehr als 5000 wurden verletzt, und die gesamte Nation lebte in ständiger Gefahr. Heute, dank der Hightech-Sicherheitssysteme, scheinen Terroranschläge ein weit entfernter Albtraum zu sein. Doch der viel geschmähte Sicherheitszaun erzählt nur einen kleinen, verzerrten Teil der israelischen Bürgerrechte, einer Realität, die die Anschuldigungen, „Apartheid“, „faschistisch“ oder gar „nazistisch“ zu sein, Lügen straft. Das israelische Justizsystem stellt sicher, dass sich Regierung und Militär nach den höchsten rechtsstaatlichen Standards verhalten, und das angesichts einer Gesellschaft, die sich einer ständigen Terrorgefahr ausgesetzt sieht. Wie der amerikanische Autor Alan Dershowitz in seinem Buch „The Case for Israel“ so treffend beschreibt, agiert der Oberste Gerichtshof Israels auch bemerkenswert effektiv beim Schutz der Rechte der Palästinenser und der Kriegsgefangenen, oft sogar zum Risiko von Soldaten und Bürgern. So hat das Gericht es untersagt, physischen Druck (nicht-lebensgefährdende Foltermethoden) auszuüben, um Informationen aus gefangengenommenen Terroristen herauszupressen. Und die Todesstrafe wurde in den 63 Jahren seit der Staatsgründung nur einmal angewandt: Adolf Eichmann, der „Architekt des Holocaust“ war die einzige Ausnahme, die die Regel bestätigte. Und nicht zu vergessen, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Kritik an der Regierung (brutal bestraft in den meisten anderen Ländern der Region), ist in dieser ständig überreizten Situation nicht nur geschützt, sondern wird sogar erwartet: Israels Gründungsvater David Ben-Gurion scherzte einst, dass „zwei Juden drei Meinungen“ hätten. Und nun hören Sie sich das an: Israel ist das einzige westliche Land, in dessen Parlament eine islamistische Partei sitzt.

Rechte von Homosexuellen

Wie ich bereits in meiner ersten Kolumne für die Huffington Post geschrieben habe, gibt es heute keine Herausforderung an die Bürgerrechtsbewegung, die bedeutender ist als der Kampf gegen die Diskriminierung der LGBT-Community. Israel verfügt über eine stolze, offene und lebendige LGBT-Kultur, und Israels Schutz seiner schwulen und lesbischen Bürger ist weitaus fortschrittlicher als in den meisten anderen westlichen Staaten. 1993, als der US-Kongress die unglückliche „Don’t ask, don’t tell“- Politik angenommen hat, schaffte Israel sämtliche Regulierungen ab, die zuvor Homosexuelle im Militär diskriminiert hatten. Ebenfalls in den 90er Jahren wurden gleichgeschlechtliche Partnerschaften gleichgestellt, Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung wurde auch am Arbeitsplatz unter Strafe gestellt und schwule und lesbische Paare erhielten das Recht auf Adoption, mit vollem Sorgerecht für beide Elternteile. Zwar können gleichgeschlechtliche Paare in Israel nicht heiraten, doch im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen werden voll anerkannt.

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In unserem aktuellen politischen Diskurs, der zuweilen einer orwellschen Antiutopie ähnelt, wird das freie, bunte, demokratische Israel, das eine Oase inmitten einer Wüste der intolerantesten und unfreiheitlichsten Regime ist, auf schändliche Art und Weise von der radikalen Linken kritisiert und leidenschaftlich boykottiert. Einige gehen sogar so weit, Israel für den offenen Umgang mit den fortschrittlichen Rechten für Homosexuelle anzugreifen, indem sie behaupten, Israel betreibe damit „Pinkwashing“ und wolle so lediglich von der Besetzung des Westjordanlandes ablenken.

Das nennt sich Tourismusförderung. Und wenn man die Sache näher betrachtet, ist es doch eine unglaublich herzerwärmende Angelegenheit! Ich kann nur davon träumen, dass mein Heimatstaat Kentucky gezielte Werbekampagnen starten würde, um schwule und lesbische Touristen in unsere schönen Nationalparks zu locken.

Ich wende mich hiermit an Sie, meine politisch gleichgesinnten Progressives, egal ob jüdisch oder nicht, und bitte Sie, einen bedachten, ausgewogenen und ganzheitlichen Blick auf diese Nation zu werfen, deren öffentliche Ordnung bereits so viele der uns so am Herzen liegenden Werte widerspiegelt: Die Förderung der Gleichheit, der Kampf gegen Diskriminierung, die Stärkung der Entrechteten und der Schutz der Schwächsten (achja, Abtreibung ist dort natürlich auch legal).

In der letzten Nacht meines Israelaufenthaltes schaute ich aus dem Fenster des Restaurants und sah dieses Bild: Eine Regenbogenfahne, die ungestört über einer äußerst geschäftigen Gegend im Zentrum Jerusalems weht.

In den Nachbarländern Israels könnte ein solcher Akt Gewalt entfachen. In vielen Gegenden meines Landes könnte er wütende Reaktionen provozieren.

Doch in Israel ist das eine normale Straßenszene: Ein alltägliches – und doch grandioses – Statement der Freiheit innerhalb einer unglaublich vielfältigen, toleranten und offenen Gesellschaft.

Trotz all seiner Fehler: Das zionistische Experiment ist unbemerkt und doch lebhaft aufgestiegen zu einer klaren Demonstration der Stärke progressiver Werte.

Habt keine Scheu Israel zu kritisieren, wenn es Fehler macht. Aber lasst uns nicht die Gelegenheit verpassen, es zu feiern, wenn es Recht hat. Denn immer, wenn liberale Werte florieren, verdienen sie unseren Beifall.

Jonathan Miller ist ehemaliger Finanzminister von Kentucky und Autor des Buches „The Compassionate Community: Ten Values to Unite America“.

(Huffington Post, 28. November 2011)

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5 Kommentare bisher ↓

  • Michael Ilgner

    Ein sehr einfühlsam geschriebener Beitrag, in dem sich meine Eindrücke über Israel widerspiegeln.

  • Katrin Wächtler

    Endlich ein sachlicher Kommentar, der die zivilisatorischen Schwierigkeiten im Hahen Osten genauer beleuchtet!

  • Stephan-Michael Patzke

    Man kann vieles kritisieren in Israel (wie in jedem Land), aber dieser Beitrag sollte zuvor Pflichtlektüre sein. Die jetzige Regierung versucht, die Meinungsfreiheit zu beschränken – aber was man beschränken will, muss es doch erst einmal geben!

  • Andre Berg

    Ein begeisternder Kommentar. Erst recht, weil von Links. Gut dazu gepasst hätte noch die Erwähnung der 1,6 Millionen Araber in Israel, die die vollen Bürgerrechte geniessen, obwohl nicht selten Terror, Gefahr und Ablehung des Staates aus dieser Schicht kommt.

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