Von Richard J. Goldstone
Der Antrag der Palästinensischen Autonomiebehörde auf UN-Vollmitgliedschaft hat die Bestrebungen nach einer Zwei-Staaten-Lösung unter immensen Druck gesetzt. Eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern erscheint heute notwendiger denn je. Deshalb ist es wichtig, zwischen legitimer Israelkritik und Bemühungen zur Isolierung, Dämonisierung und Delegitimierung Israels zu unterscheiden.
Eine besonders bösartige und beständige Lüge, die immer wieder ihr Haupt erhebt, ist, dass Israel eine Politik der Apartheid betreibe. Am Samstag beginnt in Kapstadt eine von der Londoner NGO „Russell Tribunal on Palestine“ organisierte „Verhandlung“ zu der Frage, ob Israel des Verbrechens der Apartheid schuldig ist. Es ist kein „Gericht“, die „Beweise“ werden einseitig sein und die Geschworenen sind Kritiker, deren harsche Sichtweise auf Israel altbekannt ist.
Während der Begriff „Apartheid“ eine breite Bedeutung haben kann, so wird er normalerweise eingesetzt, um die Situation in Südafrika vor 1994 zu beschreiben. Im Kontext mit Israel stellt dieser Begriff eine inakkurate und ungerechtfertigte Verleumdung dar, die jegliche Friedensbemühungen hemmt und nicht vorantreibt.
Ich kenne die Grausamkeiten des abscheulichen südafrikanischen Apartheidsystems nur zu genau, in dem Menschen, die als „schwarz“ kategorisiert wurden, kein Wahlrecht hatten, keine politischen Ämter bekleiden durften, keine „weißen“ Toiletten oder Strände benutzen, keine „Weißen“ heiraten, in „weißen“ Gegenden wohnen oder sich nur ohne „Pass“ dort aufhalten durften. Wenn ein „Schwarzer“ bei einem Autounfall schwer verletzt wurde und kein „schwarzer“ Krankenwagen schnell genug da war, um ihn in ein „schwarzes“ Krankenhaus zu bringen, wurde er einfach liegengelassen und starb. „Weißen“ Krankenhäusern war es verboten, „Schwarzen“ das Leben zu retten.
Bei der genauen Betrachtung des Vorwurfs, Israel betreibe eine Politik der Apartheid, die per definitionem auf Rasse oder Ethnizität beruht, ist es wichtig, zwischen der Situation in Israel, wo Araber Staatsbürger sind, und im Westjordanland, das aufgrund des Fehlens eines Friedensabkommens unter israelischer Kontrolle steht, zu unterscheiden.
In Israel gibt es keine Apartheid. Nichts kommt der Definition von Apartheid, wie sie im Rom-Statut festgehalten ist, auch nur nahe. Das Statut beschreibt die Apartheid wie folgt: „Unmenschliche Handlungen (…) die von einer rassischen Gruppe in Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten“. Die arabischen Israelis – 20 Prozent der Gesamtbevölkerung – wählen, haben politische Parteien und Vertreter im Parlament und bekleiden hohe Ämter, unter anderem im Obersten Gerichtshof. Arabische Patienten liegen neben jüdischen Patienten in israelischen Krankenhäusern und erhalten die gleiche Behandlung.
Um eine Sache klar zu stellen: Es gibt de facto eine größere Kluft zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung, als die Israelis akzeptieren sollten. Doch ein großer Teil dessen ist von den jeweiligen Gemeinschaften selbst so gewollt. Ein anderer Teil ist das Ergebnis von Diskriminierung. Aber es ist keine Apartheid, da diese bewusst die Trennung als Ideal festschreibt. In Israel sind gleiche Rechte für alle Gesetz, Bestrebung und Ideal; Ungleichheiten werden oft vor Gericht erfolgreich bekämpft.
Die Situation im Westjordanland ist komplizierter. Aber auch hier besteht nicht die Absicht, ein „institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer rassischer Gruppen“ zu errichten. Das ist der allesentscheidende Unterschied, selbst wenn Israel repressiv gegen die Palästinenser dort vorgeht. Südafrikas Rassentrennung sollte dauerhaft der weißen Minderheit zum Nachteil der Anderen dienen. Im Gegensatz dazu hat Israel dem Konzept eines palästinensischen Staates im Gazastreifen und fast dem gesamten Westjordanland zugestimmt und ruft die Palästinenser dazu auf, die Parameter dessen zu verhandeln.
Doch bis es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt, oder zumindest solange wie die Bürger Israels unter der Bedrohung durch Angriffe aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen leben, wird Israel Straßenblockaden und ähnliche Maßnahmen zur Selbstverteidigung aufrecht erhalten müssen, auch wenn sich Palästinenser dadurch bedroht fühlen. Zurzeit werden die Angriffe der einen Seite mit Gegenangriffen beantwortet. Und die tiefen Dispute, Forderungen und Gegenansprüche werden nur weiter verhärtet, wenn der beleidigende Apartheid-Vergleich in die Debatte eingeführt wird.
Diejenigen, die den Mythos der israelischen Apartheid auf die Agenda setzen, verweisen immer wieder auf die Zusammenstöße zwischen schwer bewaffneten israelischen Soldaten und steinwerfenden Palästinensern im Westjordanland, auf das Gebilde, das sie „Apartheid-Mauer“ nennen und auf die unterschiedliche Behandlung auf den Straßen des Westjordanlandes. Während diese Bilder vielleicht zu einem oberflächlichen Vergleich einladen, ist es doch hinterhältig, sie zu nutzen und somit die Realität zu verzerren. Die Sicherheits-Sperranlagen wurden errichtet, um die ständigen Terroranschläge zu stoppen. An einigen Orten haben sie zwar die Lebensumstände erschwert, doch der Oberste Gerichtshof hat oft eingegriffen und den Staat angewiesen, den Verlauf zu verändern, um die misslichen Umstände so gering wie möglich zu halten. Einschränkungen auf den Straßen werden nach gewalttätigen Anschlägen verstärkt und wieder verringert, wenn sich die Lage entspannt.
Natürlich haben die Palästinenser nationale Bestrebungen und Rechte, die von allen anerkannt werden müssen. Doch diejenigen, die die Situation in Israel und dem Westjordanland verschmelzen und beides mit dem alten Südafrika vergleichen, tun niemandem einen Gefallen, der auf Gerechtigkeit und Frieden hofft.
Jüdisch-arabische Beziehungen in Israel und dem Westjordanland können nicht auf einen Narrativ von jüdischer Diskriminierung reduziert werden. Es gibt Feindseligkeit und Misstrauen auf beiden Seiten. Israel, einzigartig unter allen Demokratien, war mit vielen seiner Nachbarn im Krieg, die sich weigern, seine Existenz anzuerkennen. Selbst einige israelische Araber stehen aufgrund der israelischen Staatsbürgerschaft gelegentlich bei anderen Arabern wegen der langjährigen Feindschaft unter Verdacht.
Die gegenseitige Anerkennung und der Schutz der menschlichen Würde für alle Völker sind unerlässlich für die Beendigung von Hass und Wut. Der Vorwurf, dass Israel ein Apartheidstaat sei, ist falsch und böswillig. Er verhindert Frieden und Harmonie, anstatt sie zu fördern.
(New York Times, 31. Oktober 2011)
Der Autor, Richard J. Goldstone, war Richter im südafrikanischen Verfassungsgericht und leitete die UN-Kommission zum Gaza-Konflikt 2008/2009. In einem Artikel in der Washington Post vom 1. April korrigierte er seine Darstellung Israels im „Goldstone Bericht“. Siehe dazu: Goldstone revidiert seine Bericht
Die auf dem Blog veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.
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