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Unheilvolle Kontinuitäten

9. November 2011 · 3 Kommentare · Antisemitismus, Geschichte, Holocaust, Iran

 

Von Robert S. Wistrich 

Vor 73 Jahren, am 9. November 1938 begann im gesamten Territorium des Dritten Reiches  der mörderische Angriff der Nazis auf die deutschen Juden mit Pogromen, die die Juden ihrer gesamten Lebensgrundlage beraubten. Diese euphemistisch als  „Kristallnacht“ bezeichneten Pogrome fanden noch in Friedenszeiten statt.  Sie resultierten in der systematischen Niederbrennung hunderter Synagogen,  der Zerstörung von etwa 7.500 jüdischen Geschäften, der Ermordung von knapp 100 Juden und der Deportation weiterer 30.000 männlicher Juden in deutsche Konzentrationslager.

Baden-Baden, 10. November 1938 (Foto: Yad Vashem)

Das war eine bedeutende Wende in Hitlers „Krieg gegen die Juden“ und ein wichtiger Schritt auf dem Weg, der die Welt in den Zweiten Weltkrieg führte, den Deutschland weniger als ein Jahr später begann.

Die Nazi-Propaganda kündigte schon damals offen die bevorstehende Vernichtung des jüdischen Volkes „durch Feuer und Schwert“ an, doch nur wenige im Westen nahmen diese Drohungen ernst.

Heute besteht keine unmittelbare Gefahr einer neuen „Kristallnacht“ in der westlichen Welt, obwohl sich der Antisemitismus (versteckt hinter der „akzeptableren“ Maske der Israelfeindschaft) auf einem Niveau befindet wie seit 1945 nicht mehr. Doch im Nahen Osten brennt der Hass auf die Juden weitaus heftiger – sowohl im Iran als auch in der arabischen Welt.

Der islamistische Antisemitismus bedient sich derselben antisemitischen Motive, die auch die Grausamkeiten der Novemberpogrome möglich machten und drei Jahre später als Begründung für den Massenmord an den europäischen Juden dienen sollten.

Ein paar Beispiele: Da gibt es zum einen die um sich greifende Nutzung der „Protokolle der Weisen von Zion“, in denen die „jüdische Verschwörung zur Beherrschung der Welt“ behauptet wird; dann kehrt die mittelalterliche Ritualmordlegende zurück, die aus Europa in die arabische Welt exportiert wurde; und nicht zuletzt die Stereotype der Juden als grausame, gierige und blutdurstige Kolonialisten, die den Glauben und die Identität der Muslime zerstören wollen.

Hinzu kommen noch die verleumderische und äußerst populäre Gleichsetzung von Zionismus und Nazismus sowie der Vorwurf der Apartheid und der „ethnischen Säuberungen“ gegen die Palästinenser – eine Propaganda, die an Goebbels erinnert und die eine wachsende Anhängerschaft im Westen gefunden hat.

Wie widersprüchlich es auch erscheinen mag: Die Gleichung, nach der Zionismus gleich Nazismus sei, existiert im Nahen Osten problemlos neben der Leugnung des Holocaust. In Ahmadinedschads Iran ist die Holocaust-Leugnung sogar zu einer staatlich finanzierten Waffe im Kampf um die arabische Straße und zur Indoktrinierung der eigenen Bevölkerung mit dem Gift des Judenhasses geworden.

Der mittlerweile in der arabischen Welt stark verwurzelte Antisemitismus wurde leider auch durch den arabischen Frühling nicht vermindert. Anfang diesen Jahres hat Scheich Yussuf al-Qaradawi, einer der bedeutendsten religiösen Führer der Sunniten (und besonders geschätzt in der Muslimbruderschaft) einer Million Menschen auf dem Tahrir-Platz erklärt, er hoffe, ihre Mission sei die Vollendung von Hitlers Werk.  Al-Qaradawi, dieser unglaublich populäre Geistliche, hat öffentlich erklärt, der hochverehrte deutsche Führer sei von Allah gesandt worden, als eine „göttliche Bestrafung für die Juden“. Nur kurze Zeit vorher wurde die CBS-Auslandskorrespondentin Lara Logan auf eben jenem Tahrir-Platz von einem Mob „Jew, Jew, Jew“ schreiender ägyptischer Männer angegriffen und sexuell belästigt. Logan ist nicht jüdisch, doch dieser Aspekt der Tortur, der sie ausgesetzt war, wurde von den europäischen und amerikanischen Medien heruntergespielt.

Im Westen wird generell nur ungern über den Judenhass in der arabischen Welt berichtet. Arabische Staaten (und nicht zuletzt die Palästinenser) werden nie mit dem gleichen Maß wie der Rest der Welt gemessen, wenn es um Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus geht.

Daher wird auch nur wenig über den zum Völkermord aufrufenden Antisemitismus in der „Heiligen Charta“ der Hamas gesprochen,  wie auch der Westen über die Rolle von Haj Amin al-Husseini während des Holocaust nicht übermäßigt besorgt war. Haj Amin, einer der größten Hitler-Anhänger und Antisemiten überhaupt, hat die palästinensische arabische Nationalbewegung fast 40 Jahre lang dominiert und ein Erbe des Hasses hinterlassen, das den Nahen Osten noch für Jahrzehnte vergiftete.

Die arabische Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates hat sich seit 1948 ununterbrochen fortgesetzt. Der arabische Frühling muss erst noch damit anfangen, etwas dagegen zu unternehmen. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, hat mit seiner Bemerkung vor den UN, die Juden hätten keine historische Verbindung zum Land Israel, nichts zur Verbesserung der Situation beigetragen. Diese Negierung israelischer Grundrechte und der jüdischen Identität ist aus dem gleichen Holz wie seine unverschämt rassistische Forderung, dass der neue palästinensische Staat „judenrein“ sein solle.

Keines der bisherigen Geschehnisse in Ägypten, Libyen und Tunesien – wo die islamische Bewegung viel Kraft aus den Unruhen gewonnen hat – weckt in mir den Glauben, dass der arabische Antisemitismus wesentlich geschwächt sein könnte. Das Feindbild einer „zionistischen Weltverschwörung“ lebt leider noch weiter. Arabische Tyrannen (wie in Syrien) nutzen es weiterhin als „Opium des Volkes“, und es ist zudem in der populären arabischen Kultur und im politischen Islam stark verwurzelt.

Noch ernüchternder ist die Tatsache, dass dieser krankmachende Judenhass im Iran und in der arabischen Welt von zahlreichen arabischen Geistlichen, Intellektuellen, Journalisten, Künstlern, Universitätsdekanen und so genannten akademischen „Experten“ genährt wird. In anderen Worten: Der raue, primitive Judenhass der Straße ist unter den gebildeten Schichten kulturell und intellektuell ähnlich legitimiert wie einst in Nazi-Deutschland.

Vor mehr als sieben Jahrzehnten waren die Novemberpogrome eine unmissverständliche Warnung an den Rest Europas wohin der „eliminatorische Antisemitismus“ unweigerlich führen werde.  Sie blieb weitestgehend unbeachtet. Millionen von Nichtjuden sowie zwei Drittel aller europäischen Juden bezahlten den ultimativen Preis für diese Blindheit. Wird sich die Geschichte wiederholen, mit einem Iran, der immer näher an den Besitz nuklearer Waffen gelangt und der die Zerstörung Israels gelobt? Wird der Westen still bleiben? Für Israel rückt der Zeitpunkt der Abrechnung jeden Tag ein Stück näher.

(Jerusalem Post, 8. November 2011)

Prof. Robert S. Wistrich ist Direktor des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Die auf dem Blog veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder.
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