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Die Reformation und Israel: ein komplexes Verhältnis

3. September 2015 · Keine Kommentare · Christen, deutsch-israelische Beziehungen, Holocaust, In eigener Sache, Religion, Wissenschaft

„Reformation und Israel – gestern, heute, morgen“ war das Thema einer Tagung, die vom 30. August – 1. September in der „Stiftung Leucorea“ in Wittenberg stattfand. Schirmherren der Veranstaltung waren Botschafter Yakov Hadas-Handelsman und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff. Organisiert wurde die Tagung von der der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt, der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, der Evangelischen Akademie zu Berlin und der Botschaft. In Vortrags- und Gesprächsrunden diskutierten die Teilnehmer zwei Tage lang das Verhältnis zwischen der Reformation und Israel.

Botschafter Hadas-Handelsman und Ministerpräsident Haseloff

Botschafter Hadas-Handelsman und Ministerpräsident Haseloff

Ministerpräsident Haseloff ordnete die Tagung in seinem Grußwort als eine der vielen vorbereitenden Veranstaltungen zur Reformationsdekade ein und hob die eng verwobenen Wurzeln von Judentum und Christentum hervor. Da die Veranstaltung auch im Jubiläumsjahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel stattfindet, betonte Haseloff, dass „kein theoretischer Dialog den persönlichen Austausch zwischen Menschen ersetzen kann“.

Botschafter Hadas-Handelsman sagte: „Wir können das bunte deutsch-israelische Mosaik nicht betrachten, ohne die Vergangenheit im Hinterkopf zu behalten.“ Außerdem erinnerte er in seinem Grußwort an die Gerechte unter den Völkern Dr. Elisabeth Schmitz. Sie hatte bereits 1935 die Schrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ veröffentlicht und dort völlig zutreffend prognostiziert, was durch den Nationalsozialismus auf die jüdischen Mitbürger zukommen würde. Ihre Warnungen, die sie vor allem an die evangelische Kirche und hier insbesondere an die Bekennende Kirche richtete, blieben wirkungslos. Elisabeth Schmitz kam während der NS-Zeit verfolgten Juden zu Hilfe, gewährte ihnen Unterschlupf, organisierte Unterkünfte oder Verpflegung. Nach dem Krieg sprach sie selbst nie über ihre Aktivitäten im Widerstand  und konnte, unter anderem dank der Recherchen der Gedenkstätte Stille Helden in Berlin, 2011 als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt werden.

Probst Dr. Johann Schneider erklärte in seinem Grußwort, dass die evangelische Kirche und Theologie eine zweite Reformation benötige, eine Reformation hin zu Israel und eine Distanzierung zu den Lehren Martin Luthers. Auch dem Ehrenrabbiner des Landes Sachsen-Anhalt, Benjamin Soussan, war es wichtig zu betonen, dass man den immer noch bestehenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft nicht bagatellisieren dürfe. Doch er sagte auch: „Tagungen wie diese fördern den Dialog und helfen, Hass, Leid und Antisemitismus in unserer Mitte zu beseitigen.“

Abschlussrunde Gerhard Miesterfeld, Rogel Rachman, Lütkemeier, Propst Siegfried Kasparick

Abschlussrunde: Gerhard Miesterfeld, Rogel Rachman, Moderator Bernd Lüdkemeier, Propst Siegfried Kasparick (v.l.n.r)

Im Eröffnungsvortrag „Wenn die Jüden wieder in ihr Land kämen, wollt ich…“ gab Pfarrer Dr. Stefan Meißner einen Überblick über die Schriften Martin Luthers und seine klar anti-jüdischen Positionen. Er endete mit der provokanten Frage: „Luther oder Jesus?! Israel-Bashing, oder konstruktives Miteinander unter Brüdern?“ Hier – so Meißner – müssten sich die Protestanten entscheiden. Auf ihn folgten die Vorträge von George Y. Kohler (Bar Ilan Universität, Ramat Gan) und Klaus Herrmann (Freie Universität Berlin), die die Gemeinsamkeiten und vor allem die Unterschiede zwischen der Reformation und dem Reformjudentum herausarbeiteten. So hob Kohler hervor, dass die jüdische Reformbewegung die Indifferenz der jüdischen Gemeinde heilen wollte und so etwas völlig Neues erschuf – was nach Kohler die größte Differenz zur christlichen Reformation darstellen würde. In seinem Kommentar beschrieb Klaus Herrmann am Beispiel der jüdischen Reformgemeinde von Seesen, was damals eine zeitgenössische Reformgemeinde in Deutschland ausmachte.

Der erste Tagungstag endete mit einer biografisch angelegten Gesprächsrunde unter der Überschrift „Begegnungen zwischen Israel und Deutschland“, bei der mit Michael Krupp (Gründer des Programms „Studium in Israel“), Bernhard Krane (Aktion Sühnezeichen), Lukas Welz (Junges Forum der DIG) und Hagar Levin (Kom-Mit-Nadev/Shalom Rollberg Project) nicht nur unterschiedliche Generationen, sondern eben auch unterschiedliche Blickwinkel auf das Beziehungsgeflecht Deutschland – Israel vertreten waren.

Den Eröffnungsvortrag des zweiten Tagungstages hielt Prof. Dr. Frank Crüsemann zum Thema „Aneignung ohne Enteignung – zum Verhältnis von Protestantismus und Judentum“. Ihm war es wichtig zu betonen, dass die christliche Theologie sich gezielter und intensiver mit den Quellen des Alten Testaments auseinandersetzen müsse, um so den eigenen Glauben neu bewerten und verstehen zu können.

Die Vorträge von Gerhard Gronauer (Wissenschaftlicher Mitarbeiter im „Synagogenprojekt Bayern“) und Amnon Ramon (u.a. Hebräische Universität Jerusalem) drehten sich um die wechselseitigen Beziehungen zwischen der evangelischen Kirche und dem Staat Israel seit 1948. Gronauer arbeitete die Zweipoligkeit von pro-israelisch und pro-arabisch als bestimmendes Element in der Blickweise der evangelischen Kirche auf Israel heraus. Amnon Ramon hingegen beschrieb die oftmals schwierige Position der evangelischen Gemeinden in Palästina und später in Israel. So wurden die Gemeinden nach der Staatsgründung Israels oft ablehnend betrachtet. Der damalige Knesset-Abgeordnete Uri Zvi Greenberg sagte beispielsweise 1950: „The are no German holy sites in Israel after Auschwitz and Hitler.“ Das Verhältnis konnte sich normalisieren, insbesondere seitdem die deutschen Gemeinden in den 1960er-Jahren der Mission eine Absage erteilten und ihre Aktivitäten auf den zivilgesellschaftlichen Bereich, etwa durch die Arbeit mit Überlebenden der Shoa, konzentrierten.

Ministerpräsident Haseloff bei der Fragerunde

Ministerpräsident Haseloff bei der Fragerunde

Bei der Gesprächsrunde zum Thema „Mechanismen des Hinsehens und Wegsehens – Was wollen und können wir voneinander wahrnehmen?“ diskutierten Pfarrerin Martina Severin-Kaiser (Hamburg), Jonas M. Hahn (ConAct) und Keren Pardo (National Volonteer Association Israel) miteinander. Sie griffen viele Themen des deutsch-israelischen, aber auch des christlich-jüdischen Dialogs, die die Tagung begleiteten, erneut auf.

Die Tagung endete mit einem Gespräch von Propst Siegfried T. Kasparik, Rogel Rachman (Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft) und Gerhard Miesterfeld (MdL, DIG Magdeburg). Dabei wurden mögliche Zukunftsperspektiven für Israel und das christlich-israelische Verhältnis thematisiert.

(Botschaft, 03.09.15)

In Kürze wird die Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt die Vortragstexte hier digital zur Verfügung stellen.

Die Mitteldeutsche Zeitung hat, neben anderen Medien, über die Tagung berichtet. Im Vorfeld der Veranstaltung gab Botschafter Hadas-Handelsman der Katholischen Nachrichten-Agentur ein Interview, welches unter anderem auf domradio.de und im Hamburger Abendblatt erschien.

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